18.04.2019

Die rauschende Kraft

Die Schweiz gilt als Wasserschloss Europas: Wasserkraftwerke liefern rund 60 Prozent unseres Stroms. Sie ist hierzulande die wichtigste Energiequelle, noch dazu erneuerbar und regional. Das Potenzial ist heute weitgehend ausgeschöpft und neue Kraftwerke gibt es nur noch selten. An der Steineraa konnte trotzdem eine Anlage in Betrieb genommen werden. Bis es soweit war, führte der Betreiber ebs jahrelang Gespräche, liess Gutachten erstellen und schritt schliesslich zur Tat. Wo manche Erkenntnisse gleich wieder über Bord geworfen werden mussten.

Die Turbine im Kleinwasserkraftwerk Steineraa fasst in diesem Moment 478 Liter Wasser. Pro Sekunde. Die schnelle Drehbewegung inmitten eines Magnetfelds setzt den Generator in Betrieb – und schon produziert die Anlage Strom.

Das neue Kraftwerk liegt etwas oberhalb von Steinen, versteckt hinter einem Hügel mit Blick auf Bergbach und Bäume. Ein permanentes Rauschen begleitet die Besucher, man spürt die Kraft der Natur. Rund 200 Höhenmeter weiter oben, im Gebiet von Ecce Homo, fliesst das Wasser in die Leitungen. Durch den Abstieg entsteht ein natürlicher Druck von 20 bar, woraus sich der mehrere hundert Stundenkilometer schnelle Wasserstrahl für die Ankurbelung der Turbine ergibt. Der Strom, den die Maschine damit produziert, hat eine Spannung von 6‘300 Volt. Mit 15'000 Volt geht er in die Mittelspannungsleitungen von ebs und bedient zuletzt, wiederum in reduzierter Spannung, 1'250 Haushalte.

Seit 2016 ist das Kleinwasserkraftwerk in Betrieb und produziert zuverlässig regionalen Öko-Strom. Bis dorthin war der Weg aber steinig. Christof Caprez, Leiter Engineering bei ebs, erzählt von der langen Vorlaufzeit: «Wir haben geeignete Standorte evaluiert, das ausführliche Konzessionierungsverfahren durchlaufen und über Jahre hinweg Gespräche mit den betroffenen Grundstückseigentümern geführt.»

Die grösste Herausforderung kam aber erst beim Bauen. Weil die Fassung in einer Schlucht liegt, konnte das Wasser nicht direkt abfliessen, sondern musste erst durch einen Hügel geleitet werden. Die Lösung war ein 200 Meter langer Stollen mitten durch den Fels. Laut geologischem Gutachten hartes, gut durchdringbares Gestein. Effektiv kamen aber weite Teile spröder Fels hervor, der gut gesichert werden musste. Ein Kraftakt zwischen Mensch und Natur, der bis zu zwanzig Meter unter Boden heute noch nachhallt.

Auch in Bezug auf Tiere, Umwelt und Landschaftsbild waren die Ansprüche an ebs beträchtlich. Unter anderem mit einer zurückhaltenden Einbettung in die Umwelt und einem fischfreundlichen Rechen konnte aber letztlich allen Rechnung getragen werden. Hat sich der Aufwand gelohnt? Für Christof Caprez ist das keine Frage: «Auf jeden Fall.»